Warum gibt es heutzutage so viele Pferde, die als โProblempferdโ die Runde machen, wie nie zuvor? Und warum meint jeder, dass ein Pferd therapiert werden muss? Gibt es tatsรคchlich so viele โschwarze Schafeโ unter Trainern, Sattlern und Co.? Oder warum boomt das Geschรคft mit dem Problempferd mehr denn je?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich viele Menschen รผber ihren Erfolg und ihren Status identifizieren. Das hat zur Folge, dass der Leistungsdruck immer grรถรer wird. Immer mehr Menschen sprechen dem Wort eines Auรenstehenden mehr Bedeutung und Wahrheit zu, als dem eigenen Bauchgefรผhl. Es ist auffรคllig, dass auf die Fragen โWer bin ich? Was will ich? und Was kann ich?โ kaum noch jemand eine klare Antwort geben kann. Viele geben auf diese Fragen nur das wieder, was andere รผber sie sagen. Aber was hat das fรผr Auswirkungen auf die heutige Reiterei?
Pferde nehmen nicht nur reiterliche Hilfen an und setzen diese um. Sie nehmen auch zeitgleich intuitiv den Gefรผhlszustand des Reiters wahr und gleichen diese Informationen miteinander ab. Da der Gefรผhlszustand des Reiters aber oftmals nicht mehr mit dem Bild รผbereinstimmt, welches der Reiter nach auรen von sich vermitteln mรถchte, kommt es hier schon zu ersten Missverstรคndnissen zwischen Reiter und Pferd. Die Kommunikation zwischen Sender und Empfรคnger ist gestรถrt. Nun sucht sich der normale Reiter Hilfe bei einem Reitlehrer/Trainer, dem er all die Kompetenzen zuspricht, die er sich selbst nicht zugesteht. Was dann passiert zeigt euch diese kleine Geschichte.
Jeder Trainer arbeitet nach seinem eigenen Konzept, seiner eigenen Methode. Meistens haben diese Methoden sehr werbewirksame englische Namen, denn deutsch ist gerade aus. Die Reitschรผler werden in den Trainings-/ Unterrichtseinheiten mit dem jeweiligen System vertraut gemacht, ohne zu wissen, dass es noch mindestens tausend andere mรถgliche Lรถsungswege gรคbe. Wenn es gut lรคuft, stellt sich eine kurzfristige Verbesserung ein. So geht es dann eine Weile, denn jeder Trainer/ Reitlehrer ist ja recht ideenreich.
Irgendwann jedoch stagniert der Lernerfolg, denn auch ein Trainer/ Reitlehrer kann nur dass verรคndern, was er sieht und dazu gehรถrt nur in den seltensten Fรคllen die Gefรผhlsebene seines Reitschรผlers. Der Reitschรผler ist also irgendwann unmotiviert bis ratlos und der Trainer verliert in seinen Augen an Kompetenz. Beide finden tausend Ausreden warum es im Training nicht mehr vorwรคrts geht.
Als nรคchstes wird ein Sattler auf den Plan gerufen, der sollยดs jetzt richten. Denn der Sattel kann ja mit dem kurzfristigen Muskelaufbau eigentlich nicht mehr passen. Mit Sicherheit ist der Sattel der Grund fรผr das stagnierende Training. Nach welchen Kriterien bitteschรถn soll der Sattler nun arbeiten? Dem derzeit aufgemuskelten Pferd, welches schon wieder durch das stagnierende Training auf dem Wege zum Muskelabbau ist, wird also ein jetzt passender Sattel verkauft. Gerne noch mit etwas Spiel nach oben, da ja nun alles wieder gut wird. Denn die Stagnation, hing ja nur mit dem nicht passenden Sattel zusammen – wir erinnern uns. Durch das nun folgende Training wird das Pferd sicher weiter aufmuskeln.
Mit etwas Glรผck passt der Sattel wenigstens einem, nรคmlich dem Reiterhintern. Leider haben zu viele Sattler nicht den Mumm, dem Reiter zu sagen, dass sein Hinterteil eigentlich zu prall fรผr das gewรผnschte Sattelmodell ist. Es kรถnnte ja sein, dass der Kunde das nicht gerne hรถrt und einfach einen anderen Sattler aus dem รberangebot kommen lรคsst. Da jeder ja irgendwie ums รberleben kรคmpft, zumindest ein Stรผck weit nachvollziehbar, oder?
Kommen wir an dieser Stelle zu den ersten Folgen fรผrs Pferd: Der Sattel drรผckt auf die Schulter, da er zum jetzigen Zeitpunkt zu weit ist und nach vorne kippt. Grund dafรผr ist die noch fehlende Muskulatur, ihr erinnert euch? Dadurch wird die Pferdeschulter in der Bewegung blockiert. Was zur Folge hat, dass das Pferd sich im Bewegungsablauf noch weiter verschlechtert. Durch den fรผr den Traumsattel รผberdimensionierten Reiterhintern, sitzt der Reiter hinter dem Schwerpunkt und drรผckt den Sattel gekonnt bei jedem Schritt in die Nierenpartie des Pferdes.
Beides wird das Pferd, wie sich sicher jeder vorstellen kann, nicht arbeitswilliger machen. Geschweige denn das Pferd dazu bewegen mehr รผber den Rรผcken zu gehen. Dazu kommen Unarten wie Ohren anlegen, beim Aufsitzen beiรen, bis hin zum Buckeln und Steigen, um sich von den Schmerzen zu befreien. Selbst wenn jetzt ein schlauer Kopf sagen wรผrde, der Sattel passt nicht, kรถnnte der Reiter sich aber nun keinen passenden Sattel mehr leisten. Denn dieser ist ja neu und wurde schlieรlich eigens fรผr das edle Ross angepasst.
Wem kann der Reiter in einer solchen Situation nun die Schuld geben? Wer hat hier einen Fehler gemacht? Der Reitlehrer, der mit seinen Methoden am Ende war und nach bestem Wissen und Gewissen an den Sattler verwiesen hat? Oder der Sattler, der gutglรคubig die gut gemeinten Ausfรผhrungen des Reiters รผber den mรถchte gern Zustand seines Pferdes als Ausgangssituation genommen hat? Oder der Reiter, der nach all seinen Mรถglichkeiten bis hierher schon viel Geld versenkt hat, um mit seinem Partner Pferd glรผcklich und zufrieden seinem Hobby frรถnen zu kรถnnen? Eigentlich hat er ja alles Erdenkliche unternommen, damit es seinem Pferd gut geht. So richtig Schuld hat also niemand. Aber wie geht es nun weiter?
Die eine Reiterfraktion sucht eine Tierklinik nach der anderen auf und hat am Ende immer noch keine aussagekrรคftigen Ergebnisse. Weil der Zustand ja noch nicht lange genug existiert, um die Sehnen und Bรคnder so รผberbelastet zu haben, dass bereits eine, durch die fortschrittliche medizinische Diagnostik sichtbare, Verรคnderung eingetreten wรคre. Die andere Reiterfraktion sucht als nรคchstes einen selbsternannten Horseman, Pferdeflรผsterer oder Pferdeprofi auf.
Eigentlich ja auch egal, denn eines haben alle gemeinsam: Aus dem Reiter wird erst einmal wieder ein Fuรgรคnger gemacht. Denn die Ursache allen รbels ist sicher ein Kommunikations- oder Dominanzproblem. Also erst mal Sattel runter und Knotenhalfter drauf. Schรถn, so haben wir das Problem wenigstens vorรผbergehend beseitigt, denn ohne Sattel auch kein Satteldruck. Aber was, wenn der jetzige Fuรgรคnger – eigentlich ja Reiter, sich an seinen ursprรผnglichen Wunsch, nรคmlich an das Reiten erinnert und wieder in den Sattel steigen will?
Auch das ist vorรผbergehend kein Problem, denn jetzt wo der Sattel lรคnger nicht auf dem Pferd gelegen hat, ist dieses ja erst einmal wieder kooperativer bisโฆ es durch regelmรครiges Reiten wieder an den nicht passenden Sattel und die damit verbundenen Schmerzen erinnert wird. Haben Pferde doch tatsรคchlich auch ein (Schmerz) Gedรคchtnis?!?!?!?! Der Satteldruck macht sich nun sofort und noch deutlicher bemerkbar, da durchs โnicht Reitenโ sich noch mehr Muskulatur verflรผchtigt hat.
Das Ergebnis: Das Pferd steigt und widersetzt sich dem Reiter- es wird gefรคhrlich! Das โProblempferdโ ist fertig. Es gilt als unreitbar und ist bestenfalls noch als Beistellpferd zu gebrauchen. Gerne wird ein solches Problempferd im Falle einer Stute auch als Zuchtstute abgegeben, oder an Hรคndler verkauft. Dieser wiederum verkauft es dann gerne als gut ausgebildetes Freizeitpferd weiter, da ja schon so viele Profis mit dem Pferd gearbeitet haben. Der Reiter hat einen Nervenzusammenbruch. Er ist sehr einsam, da sein gesamtes Umfeld total genervt ist und wenn er Pech hat, haben alle diese Maรnahmen auch noch dazu gefรผhrt, dass sein Kรผhlschrank leer bleibt und die Mรคuse ausziehen mรผssen.
Falls du dich oder eine Freundin in dieser Geschichte wiederfindest. Oder ein โbraves gut ausgebildetes Freizeitpferdโ gekauft hast. Und dich nun fragst, was du falsch machst, weil du das โgute Stรผckโ nicht bedienen kannst. Oder diese Geschichte erst gar nicht an eigenem Leib erfahren mรถchtest, merke dir folgendes:
PS: รbrigensโฆ wir verkaufen keine Sรคttel ;-)!!!!!
Aber wir haben aus vielen sogenannten „Problempferden“ wieder verlรคssliche Freizeitpartner gemacht, die fรผr ihren Menschen alles tun wรผrden.
Neugierig: Zur ganzheitlichen Pferdetherapie
Wenn du tiefer ins Thema Horsemansip und Pferdeflรผsterei einsteigen willst, solltest du dir unbedingt den Dokumentarfilm รผber Buck Brannaman – den wahren Pferdeflรผsterer ansehen.